Abschreibungsdauer

Noch niemand der am Rathausprozess beteiligten Parteien, weder Studie/Gutachten, Verwaltungsvertreter, Fraktion, Ratsmitglied hat bisher behauptet, dass eine über 80 Jahre gestreckte Abschreibung zusammen mit einen Ansatz von 0,6% der Baukosten p.a. „wirtschaftlich sachgerecht für einen Wirtschaftlichkeitsvergleich“ ist. Es wurden auch keine Belege dafür geliefert. (Diese beiden Parameter wurden für das Abstimmungsheft zum Ratsbürgerentscheid verwendet.)

Der Bürgermeister  und die Fraktionsvorsitzenden rechtfertigen die Werte immer nur mit einer nach ihrer Meinung kommunalrechtlichen Zulässigkeit der Abschreibung über 80 Jahre. (Aber mit diesem Argument kann man jede Größe zwischen 40 und 80 Jahren rechtfertigen.)

Bei Diskussion der Abschreibungsdauer muss man aber genau unterscheiden, zu welchem Zweck sie verwendet wird. Im Rathaus-Kontext sind diese Zwecke Bilanzierung zum einen und Wirtschaftlichkeitsrechnung zum anderen. Bei der Bilanzierung stellt sich neben der Frage der wirtschaftlichen Sachgerechtigkeit noch die der kommunalrechtlichen Zulässigkeit. Bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung geht es nur um die wirtschaftlichen Sachgerechtigkeit.

Zu dieser haben wir eine Belegsammlung gestartet.

Besonders interessant fanden wir die Aussagen des Hessischen Rechnungshofes:

Kommunalbericht 2010: „Die Überörtliche Prüfung erachtet Nutzungsdauern von mehr als 50 Jahren bei Gebäuden als grundsätzlich nicht sachgerecht.“ und

„Die unreflektierte Anwendung allgemeiner Abschreibungstabellen birgt die Gefahr der unzutreffenden Darstellung der Vermögens- und Ertragslage.“

Kommunalbericht 2013: „Zu lange Nutzungsdauern, die nicht mit den wirtschaftlichen Nutzungsdauern der Gebäude übereinstimmen, führen zu einem zu hohen Ausweis des Anlagevermögens und zu niedrigen Abschreibungen. Aufgrund dieser verzerrten Vermögens- und Ertragslage können fehlerhafte Investitionsentscheidungen getroffen werden.“

Auf die Frage „Welche immobilienfachliche Begründung gibt es für die Abschreibung über 80 Jahre?“ antwortete Bürgermeister Freytag in der Infoveranstaltung der Stadt am 14.06.2016, dass es keine gäbe. Vielmehr würde auf die kommunalrechtlichen Vorgaben abgestellt.  (Anmerkung: 40 bis 80 Jahre)

Dass mit der grundsätzlichen Verwendung der Obergrenze für die kalkulatorische Nutzungsdauer das in §95 GO NRW geforderte „den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Schulden-, Ertrags- und Finanzlage der Gemeinde“ vermittelt wird, wagen wir angesichts obigen Tabelle zu bezweifeln. Ebenso erscheint uns beim Vergleich der 80 Jahre und 0,6%, die die Stadtverwaltung ansetzt, mit den Referenzwerten der obigen Tabelle, „die für die Dauer der Nutzung entstehenden jährlichen Haushaltsbelastungen“ (§ 14 GemHVO NRW, Abs. 2) nicht vollständig angesetzt.

Denn am Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer (die eher zwischen 30 und 50 Jahren liegen dürfte) entstehen i. A. hohe Modernisierungs- bzw.- Generalsanierungskosten, die in der Berechnung der Stadtverwaltung nicht berücksichtigt sind.

Fazit:

Zwar sind die Formulierungen des GPA-Prüfungsberichts 2015 zu den Risiken langer Abschreibungsdauern wesentlich zurückhaltender als im GPA-Prüfungsbericht von 2010, jedoch zeigt der Vergleich mit den anderen Referenzwerten (jährl. Gesamtbelastung: 100%/50 + 1,2% = 3,2%), dass die Kombination eine Nutzungsdauer von 80 Jahren mit einem jährlichen Instandhaltungsaufwand von 0,6% ein unrealistisch positives Bild (jährl. Gesamtbelastung: 100%/80 + 0,6% = 1,85%) erzeugt. Dadurch werden die Varianten mit den höheren Baukosten vorteilhafter dargestellt. Dies wird sich aber nicht kurzfristig, sondern erst langfristig, auswirken. Dann werden voraussichtlich innerhalb der ersten 80 Jahre Modernisierungskosten entstehen, die von der Stadtverwaltung nicht in der Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtigt wurden.

Dies ist angesichts des „auf Kante genähten“ Brühler Haushalts (Zitat Kämmerer Radermacher) besonders kritisch zu sehen.